Der Geist, der im Verborgenen schafft Ein Atelierbesuch bei dem akad. Maler Herbert Stepan in Osten, 1952
Stärker denn je steht heute vor uns die Gefahr der Zerschlagung aller jener Werte, die seit Jahrtausenden für uns gültiges Gesetz waren. Es bleibt dabei völlig gleichgültig, ob diese Zerschlagung mit brutaler Gewalt oder mit zersetzendem Intellekt angestrebt wird, da beide Wege folgerichtig zum Nihilismus führen müssen. Allein mit der gestaltenden Kraft des Geistes wird es möglich sein, dieser Gefahr Einhalt zu gebieten und nur in der Bejahung einer geistigen Ordnung wird eine schöpferische Weltschau den Ungeist besiegen. Es gibt viele Wege zu dieser Erkenntnis, und einer von ihnen mag wohl der Rat Goethes sein, dass man sich täglich ein gutes Bild ansehen solle, um seine Gedanken aus der Unrast der Zeit wieder auf die wahren Werte zu lenken. Diese täglichen Augenblicke der Besinnung sind für jeden von uns ungeheuer wichtig, da uns allzu leicht materielle Not und Sorgen am wirklichen Leben vorübergehen lassen. Was aber wissen wir eigentlich von Bildern, die uns kräftigen und erheben können? - Wir können nicht glauben, dass Goethe an jene Dutzendware billiger Landschaftsreproduktionen oder Stilleben, wie sie noch immer als Zeichen der Oberflächlichkeit angeboten werden, dachte. Wir können auch nicht glauben, dass er jene Bilder meinte, die uns in ihrer Zerstückelung und Verzerrung des Natürlichen als "Kunst" angepriesen werden. Jene Bilder, von denen erst kürzlich wieder eines mit einem Preis ausgezeichnet wurde, obwohl es, ohne dass man es merkte, verkehrt aufgehangen war. - Nein, wir glauben und wissen, dass der alte Weise nur die wirklich schöpferischen Werke als Quelle der Kraft ansehen konnte. Breit streckt sich das strohgedeckte Haus am Ostdeich, in dem es so ganz anders zugeht, als in den umliegenden Bauernhäusern. Nicht das geschäftige Treiben des Hofes bestimmt hier das Leben, sondern in der Stille seines Ateliers schafft unermüdlich ein Mann mit verhaltenen Farben an der Leinwand, mit formenden Händen am Ton oder mit grabendem Stichel auf der Kupferplatte. Wenn der akad. Maler Herbert STEPAN auch gebürtiger Wiener und noch heute Mitglied des Wiener Künstlerhauses ist, so kennt man ihn dennoch schon lange im "Altreich", wie der Wiener sagt, da bereits vor dem Kriege seine Werke auf Ausstellungen in Hannover, Braunschweig und anderen Städten zu finden waren. Erst nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft siedelte er endgültig an die Niederelbe, der Heimat seiner Frau, über. Vielleicht würde eine Hausfrau, die unbefangen in Herbert STEPAN Atelier tritt, sagen, dass es hier "unordentlich" aussehe, und gar mancher oberflächliche Betrachter wird ihr Recht geben. Sehr schnell aber werden sie spüren, dass man hier nicht den allgemeinen Maßstab des "Aufgeräumtseins" anlegen darf, sondern dass in der scheinbaren Unordnung für den Künstler selbst eine echte Ordnung liegt. Eine Ordnung nämlich seiner Gedanken, Empfindungen und Augenblickserkenntnisse, die alle irgendwie auf einer Skizze festgehalten sind. Wir blättern in einer Mappe Portraits, die uns Kinder, Frauen und Männer zeigen. Der scherzhafte Ausspruch von Emil Jannings fällt uns ein, als er einmal einem Maler sagte, dass er sich nicht portraitieren lassen wolle, da der Künstler sein Kritiker sei, er wolle sich lieber fotografieren lassen. Ja, das ist der Unterschied. Zeigt die Fotografie die optische Wiedergabe eines Kopfes, so zeigt uns das wirkliche Portrait in seinen Zügen das Wesen des dargestellten Menschen. Während die Linse den Augenblick des Lichtes festhält, erfaßt der Künstler das Innere des Menschen und drückt es in seinem Bilde aus. Wir sehen Plastiken und Reliefs. Wir bewundern die Feinheiten seiner Kupferstiche und wir verharren schweigend in der Betrachtung seiner Bilder, mögen sie Motive aus Wien darstellen oder uns die heimische Landschaft an der Niederelbe erstehen lassen. In allen Werken von STEPAN liegt das Geschlossene seines eigenen Ich, das sich inmitten einer zerrütteten Welt zu den Gesetzen des Aufbaus und der ordnenden Gestaltung bekennt. Wie in der wesenhaften Gestaltung seiner Portraits, so zeigen die Striche und Farben in den Landschaften nicht etwa nur sein technisches Können, sondern vor allem sein Empfinden, Sie dienen dazu, die Bindung des Natürlichen an das Metaphysische zu gestalten. Wohl haben Bäume, Menschen und Tiere natürliche Formen und sind doch so in ihrer Verhaltenheit alle nur Teile des Gesamteindruckes seiner Bilder, die nicht Naturnachahmung sein wollen, sondern Verdichtung und Mitteilung eines Lebensgefühls. Wir können nicht gleich sagen, dass dieses oder jenes Bild schön sei, denn so wie der Künstler sich die Zeit genommen hat, Menschen und Landschaften in ihren eigentlichen Zügen zu erfassen, so müssen auch wir die Ruhe finden und uns die Muße nehmen, diese Bilder zu betrachten. - Da weist uns ein erleuchtetes Fenster auf vielen Bildern den Weg aus dem dunklen Grau wieder zum Licht. Da empfinden wir bei der Darstellung eines Apfelbaumes dankbar das Geschenk der reifenden Frucht. Da erleben wir den Menschen in tiefer Betrachtung vor der spiegelnden Fläche eines Wassers und spüren, dass uns alle das gleiche bewegt. Stunden vergingen. Noch einen Blick werfen wir auf das scheinbar im Raum der Vorhalle schwebende, lebensgroße Menschenpaar, das der Wiener Freund Rudolf Heinz KEPPEL an der Rückwand entstehen ließ. Als wir uns unter den Bäumen der Toreinfahrt, durch die der Sturm braust, verabschieden, da wissen wir, warum Herbert STEPAN heute noch nicht wieder auf den Ausstellungen zu finden ist. Er ist einer der Stillen im Lande, deren Zeit erst reifen muß, da er über der Zeit steht. Diese Bilder, die aus dem Inneren gestaltet sind, passen nicht in das Verwirrende der Jetztzeit. Gefühlt aber haben wir die Wahrheit des Goethewortes, denn das, was wir sahen, stärkte uns den Glauben an die Beständigkeit der göttlichen Ordnung und wird darüber hinaus noch vielen die Kraft geben, einen geistigen Wall gegen jede Zersetzung oder Zerschlagung der uns heiligen Werte aufzurichten.
in der "Niederelbe-Zeitung", Jan. 1952