Texte - Herbert Stepan - Ist das Portrait heute noch möglich? |
Herbert Stepan Ist das Portrait heute noch möglich? Ist das Menschenbild überhaupt noch Objekt der Kunst, ist es aus dem Kreis der Beobachtung und der künstlerischen Darstellung ausgeschlossen? Ist das Menschenbild nicht mehr gefragt und ist es darum aus dem Bereich der sogenannten Aktualität gerückt? Gibt es kein Verlangen nach authentischer Fixierung einer Person? Fehlt für die portraithafte Darstellung einer Persönlichkeit heute die gesellschaftliche Grundlage? Fehlt es am Kunstverständnis der Gesellschaft? Liegt die Ursache in einer Verdüsterung der Kunst? Wie ist es denn um den Willen und die Zielsetzung des schöpferischen Schaffens unserer Zeit bestellt? Gibt es künstlerische Zeugnisse für die heute so sehr beschworene Humanität, die dem gewiss berechtigten Zweifel an der Menschlichkeit des Mitmenschen und der Umwelt bewusst entgegengesetz werden? Oder gibt es nur solche Zeugnisse, die das Bedrohliche unserer Existenz - notvoll beunruhigt oder willentlich - zum Ausdruck bringen? Die Frage nach der Möglichkeit des Portraits, die im erweiterten Sinne die Möglichkeit eines bejahenden Menschenbildes in der Kunst überhaupt einschließt, wirft viele neue Fragen auf, drängt zu Überlegungen, verlangt Begründungen, führt aber letzten Endes doch zu der Forderung nach einem neuen Selbstverständnis des Menschen, trotz oder gerade des Wandels der Zeiten wegen. Gewiss, die heute vorherrschenden Kunstrichtungen ignorieren weitgehendst das Bild vom Menschen und der menschlichen Gestalt. Diese Kunst ist in andere Bereiche vorgestoßen und sucht in oft extremen Radikalwendungen die Erweiterung eines Weltbildes, sucht auf experimentellen Wegen neue Erfahrungen und hat besondere Zukunftserwartungen. Sie sieht sich als eine im Ent- stehen begriffene Kunst, die offenbar ohne einem Bild vom Menschen auskommen kann. Von Zukunftsängsten dagegen werden jene Kunstäußerungen geprägt, die Gegenwart registrieren wollen, die Pessimismus und Selbstentfremdung des Menschen konstatieren wollen und anklagend vom Verlust aller ethischen Werte innerhalb der Gesellschaft Zeugnis geben. Oder auch sehr engagiert und mit gewollter Irritation Bewußtseinsveränderungen hervorrufen und gesellschaftsverändernd wirken wollen. Die extreme Herausforderung einer, ausschließlich dem Rationalen zugewandten Geisteshaltung und einer nur der Nützlichkeit verpflichteten, hochtechnisierten Gesellschaft, bewirkt aber den Ausbruch seelischer Kräfte, die, verleugnet und gehemmt, sich nun in gesteigerter emotionaler Gestaltung, ja, in dämonischer Verzerrung, als eine nicht zu unterdrückende Macht erweisen. Als Protest gegen eine rationale Lebensbestimmung zeugen deshalb erloschene Menschengesichter, deformierte Körper, verrenkte Gliedmaßen und Grimassen von tragischen Lebenskonflikten. Eine frag- würdige Zukunft und zerbrochene Hoffnungen vor Augen, zeigen diese, meist dem Tage und der Aktualität verpflichteten Bildwerke die Schattenseiten der Selbstentfremdung des Menschen. Stärkeren Reizen zugewandt, in ironiesierender oder gar zynischer Absicht, in heraufbeschworener Selbstdeprimierung und mit einem Hochspielen des Einfalls, erreichen dann diese Bildwerke allerdings kaum mehr den Betrachter. Die Absicht des Künstlers, der durch Überwältigung und Verfremdung wirken will, erscheint oft kaum mehr ablesbar und führt meist nur zu entmutigender Resonanz. Kann denn ein Zerrbild vom Menschen unserer Tage aber zu einem neuen Selbstverständnis führen? Kann diese Verzerrug ein tieferes Verstehen des eigenen Daseins gewähren? Die Behauptung, dass heute nur eine gestörte Kunst eine notwendige Kunst sein könne, führt unweigerlich zu einer Überbewertung der Aktualität. Kann denn nur Herausforderung zur Anteilnahme zwingen? Soll Problematik oder die Übereinstimmung mit der unmittelbaren Gegenwart, mit dem Zeitgemäßen also, entscheidend für den Rang eines Kunstwerkes sein? Aktualität verbürgt doch noch lange nicht den Wahrheits- oder Wirklichkeitsgehalt eines Werkes. Keinesfalls aber wird der Rang eines Kunstwerkes allein nach dessen Aktualität gewertet werden können. Später nicht und auch nicht zur Zeit seines Entstehens. Die Zeitlosigkeit in der künstlerischen Aussage aber ist in einem anderen Sinne lebendig und bedarf keiner provozierenden Absicht ihren Rang erweisen. Die Werke vergangener Kunstepochen erweisen doch in ihrer geistigen Gegenwart eine überzeitliche Gegenwart - in ihrer Unabhängigkeit von der Zeit also, sogar Zeitüberlegenheit. Es ist gewiss nicht der höchste Anspruch der Kunst, mit der Zeit, mit der Gegenwart in Übereinstimmung zu sein. Nur der Glaube an unveränderliche Gegebenheiten des menschlichen Wesens, nur der Glaube an eine Entfaltungsmöglichkeit nach den natürlichen Gesetzen des Menschens, nur der Glaube an unvergängliche menschliche Werte kann ein Bild herstellen, der seine an sich selbst gestellte Aufga- be kennt und seinen eigenen Kräften nicht entfremdet ist. Die Bildnismalerei hat uns in allen Kunstepochen mit dem Portrait des Einzelmenschen auch immer das Leitbild einer Zeit offenbaren und nahebringen können. Sie hat uns das Bild früherer Ge- schlechter bewahrt, sie hat uns mit dem Erscheinungsbild auch deren Wesen festgehalten. Sozialer Rang, Wunschvorstellungen oder Idealtypus einer Zeit wird ebenso ablesbar wie wirksame menschliche Gemeinschaft, Geborgenheit und Bindung, oder auch ein individuelle Vereinzelung. Ob als Glorifikation einer Idee oder als lebenswahre, lebenstreue Darstellung einer einmaligen Individualität, immer enthüllt auch die Bildnismalerei alle Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins. Sie tut es heute so, wie sie es gestern und in längst vergangenen Zeiten getan hat. Dass das Portrait heute in den Hintergrund gedrängt ist, bedeutet keinesfalls, dass es nicht exi- stiert. Viele Künstler arbeiten an der menschlichen Gestalt als ihrem zentralen Thema. Oft in der Stille und abseits eines von der heutigen Presse sanktionierten Kunstbetriebs. Aber - der fast zur Verpflichtung erhobenen Angst, die heute geradezu als Zeichen der Sensibilität gewertet wird - die- ser Angst entgegen, wissen diese Künstler um einen existierenden objektiven Menschenbegriff, sie wissen um ein Selbstverständnis des Menschen auch heute. Auch das moderne Dasein hat Würde, die es wert ist, festgehalten zu werden. Es gibt auch heute bedeutende Persönlichkeiten, große Menschen in Haltung und Leistung. Das menschliche Antlitz überhaupt, ob einfachen oder differenzierteren Charakters, ob jung, reif oder alt, ist in seiner individuellen Einmaligkeit der Spiegel des Wesens, Spiegel der Eigenschaften und Ausdruck der leiblichen und geistigen Bedürfnisse. Es ist die Aufgabe des Künstlers, dieses Wesentliche - über eine wirkliche Erscheinung hinaus - hervortreten zu lassen. Sollte es nicht gelten, dem Menschentyp nachzuspüren den unsere Epoche hervorbringt und den Menschen zu zeigen, der sehr wohl aus sich heraus zu sprechen fähig ist. Sollte es nicht notwendig sein, den brüderlichen Menschen zu denken? Ihn zu denken ist tiefe geistige Einsicht, ist Willensakt und hohe moralische Forderung zugleich. Und ein Vertrauen in naturspezifische Normen des Menschen und seines Verhaltens, wird sicher ein tieferes Verstehen des eigenen Daseins gewähren können und mithelfen, die gesellschaftlichen Kräfte im humanere Bah- nen zu lenken. Es ist die Aufgabe der Bildnismalerei im besonderen, im Abbild des Dargestellten als einem Zeugnis einer geistigen Begegnung - über alle erwünschte Dokumentation hinaus - zur Wahrheit des Menschen vorzudringen und sie neu und schaubar erstehen zu lassen. Die Photographie jedoch kann nichts schaubar oder durchschaubar machen. Sie kann nichts enthüllen. Sie kann nichts rühmen, sie kann nicht das Alltägliche und das Zufällige vergessen lassen. In ihrer mechanischen Exaktheit und mit ihrer Zufallswahrheit ist sie zwar ungeheuer massenwirksam, aber sie ist nicht einmal, oder nur in den seltensten Fällen, dokumentarisch. Das Photo verführt zu einem reproduzierten Bild vom Menschen. Es verführt zum Klischee, das als Massenkommunikationsmittel herausgebracht auch als solches akzeptiert wird, da es leider das Bildbedürfnis des Menschen heute weitaus befriedigt. Wie bescheiden, ja wie unerhört anspruchslos ist es aber, sich mit einem Bildnisfoto zufrieden zu geben. Man ist dann mit sehr wenig zufrieden, denn das Fotografieren ist ein Sehen ohne Begreifen und in diesem Sinne verfälscht die Photographie die Wirklichkeit. Das optische Sehen hilft nicht, ein Ding zu erfassen. Es hilft nicht es zu begreifen, es gibt nur den Schein, ein schlechtes Bild also, ein Trugbild. Optisches Sehen kann niemals Aneignen im geistigen Sinn sein. Die Photographie kann nie ein Kunstwerk sein, photographieren nie ein künstlerisches Gestalten. Es ist der Urtrieb der Menschheit, das Bild des Menschen festzuhalten, es zu bewahren. Begeistert spricht Anakreon: "Mal mir meine Geliebte, mal sie mit ihren dunklen Flechten, und wenn die Farbe es ausdrücken kann, mal auch den Myrthenduft, der sie umwebt." Das Antlitz des geliebten Menschen zu bewahren, in seiner naturnahen Lebensspäre, in sichtbarer und greifbarer Gestalt und als ein Bild der seelischen Präsenz, ist nicht nur ein liebenswerter Wunsch menschlicher Eitelkeit und bedeutet keineswegs nur Dokumentation. Für den Dargestellten wird sein Portrait gewiss zum Ich-Erlebnis werden können, das Selbstschau und Selbsterkenntnis auszulösen vermag. Dem Betrachter schenkt es eine Begegnung die ihn irgendwie etwas gewinnen lässt, wenn der Gewinn auch ein unwägbarer bleibt. Dem Künstler obliegt es, den komplementären Kräften und den Möglichkeiten, die in der Menschennatur vereint sein können, nachzuspüren. Seine Absicht und sein formender Wille muss den Sinneneindruck und die Wirklichkeitsform aus innerer Wahrnehmung heraus neu erstehen lassen. Er muss ihr in neuen Zusamenhängen Gestalt geben können und im Bilde würdigend, ja gefeiert wie ein Geschenk anderen vor Augen bringen. |