Eröffnungsrede - Herbert Stepan - Lebensphasen

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Herbert Stepan

Vorwort zur Ausstellung

LEBENSPHASEN - KÜNSTLERISCHE WANDLUNGEN

Im Wiener Künstlerhaus vom 22.10. -21.11.1975

Das Werk eines Künstlers, unter dem Motto “Lebensphasen -
Künstlerische Wandlungen” gezeigt, kann, in einer kleinen Übersicht schon, dem Betrachter Beginn, Suchen, Entfaltung und Selbstfindung des Schaffenden eindringlich vor Augen führen, kann ein besseres Verständnis seines Werkes fördern und kann Interesse und Zuneigung ermöglichen.
Das Thema dieser Ausstellung ist nicht nur einem vollendeten Lebenswerk vorbehalten, es gibt auch jungen und allen im Schaffen stehenden Künstlern die Möglichkeit, mit dem Herausgreifen einzelner Arbeitsperioden Einblick und Aufschlüsse über bewusste Konzept- und Stiländerungen zu geben, neue Wege den vorher begangenen gegenüberzustellen.

Die Präsentation ist diesmal 15 Künstlern, die alle einer älteren Generation angehören, zugedacht. Zum Teil hochbetagt, bestätigen sie sich mit ihrem Schaffen nicht nur als Repräsentanten zeitgenössischer Kunstprominenz, sie beweisen auch mit mancher ihrer späten Arbeiten, dass viele der bedeutendsten Werke der bildenden Kunst in allen Zeiten “Alterswerke” sind. Auch die Präsentation der Werke von drei verstorbenen Mitgliedern des Hauses ist keineswegs als pietätvoller Rückblick gedacht. Als Ehrung einer abgeschlossenen Lebensarbeit soll das Zeigen des Werks nicht Künstlerinteressen dienen, sondern einem allgemeinen Kunstinteresse in Erinnerung gebracht werden und seine Würdigung finden.
Die Geburtsdaten der Aussteller fallen in die Zeitspanne von 1885 - 1913. Diese Zeitspanne umschließt Generationen. Die Zeitgenossenschaft tätiger Künstler macht eine Vielfalt des Schaffens, eine Auffächerung in Richtungen und Tendenzen verständlich und sie macht verständlich, dass es auf dem Gebiet der bildenden Kunst nicht erst der philosophischen Bejahung der Gesellschaft unserer Tage bedarf, um diese - unter dem Schlagwort Pluralismus - als Vielheit selbständiger Einzelwesen zu verstehen. Denn solche Zeitgenossenschaft ist zu allen Zeiten feststellbar. Leibl und Cezanne waren Zeitgenossen, Manet schuf sein Werk als auch Rosetti das seine schuf. Hans Thoma starb 1924 als Picasso den Kubismus bereits kreiert hatte. Feuerbachs und Van Goghs Schaffen lag in gleichen Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts. Als Barlach seine Bildwerke schuf, arbeiteten noch Meunier und Rodin. Wenn auch als Antipoden, so sind sie doch als Zeitgenossen in die Kunstgeschichte eingegangen. Überschneidungen in geistigen und künstlerischen Entwicklungen erweisen sich als naturgegeben und allein aus dieser Sicht wird dem Wort “Aktualität” bestimmt keine ausschließliche Bedeutung zuerkannt werden können und dürfen. Die Werke vergangener Kunstepochen sind in ihrer geistigen Gegenwart eine überzeitliche Gegenwart, in ihrer Unabhängigkeit von der Zeit also sogar Zeitüberlegenheit. Es gibt eine Zeitlosigkeit in der künstlerischen Aussage.
Die in dieser Ausstellung gezeigten Künstler einigt kein ästhetisches Programm, es einigen sie keine außerkünstlerischen Absichten und keine dominierenden Tendenzen. Das Streben, sie selbst zu sein, zu arbeiten, wie sie es selbst für richtig halten, in großer Strenge gegen sich selbst und trotz Aufgeschlossenheit für alle Probleme der Zeit, immer bedacht, die eigene Position zu beziehen, dieses Streben ist allen gemeinsam. Allen gemeinsam ist ein langer Lebensweg. Auf alle Fragen der Zeit haben sie stets mit ihrer “Arbeit” geantwortet. Ihr Anfang und ihre Wegsuche ist von einer Tradition bestimmt, die überlieferte Werte empfiehlt. Sie bekennen auch mit ihrem Werk, dass es gilt, Wesentliches und Unentbehrliches der überlieferten Kultur und den kontinuierlichen Zusammenhang des Alten und des Neuen weiter zu bewahren. Sie bekennen sich aber auch mit ihrem Schaffen zum Primat der künstlerischen Mittel, zu bildnerischer Logik und zu einer Autonomie des Werks. Mit entschiedener Festigkeit gegen die Übersteigerungen der Zeit und entgegen allen kalkulierten Tendenzen sind für sie aber auch heute die künstlerischen Ausdrucksmittel dicht und ausreichend genug, um Bilder und Bildwerke zu schaffen, die man erleben kann, die den Betrachter menschlich anzusprechen vermögen. Das Gewicht der Präsentation liegt auf dem Ethischen.
Geschautes oder Imaginiertes wird bildnerisch gestaltet und gewinnt Sprache. Wahrnehmung der Welt und psychische Erfahrung wird als Einheit vermittelt. Anfang, Wegsuche, Reifestil, Alterswerk - Zäsuren in der künstlerischen Produktion - geben Aufschluss über einen lebenslangen Schaffensprozess, über das Lebensgefühl des Künstlers und über dessen Wandlungen. Je subjektiver der Künstler ist, um so stärker erweist sich der Wahrheitsgehalt des Werkes und um so objektiver zeigt sich die im Bildwerk manifestierte neue Wirklichkeit.



 
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