Eröffnungsrede - Herbert Stepan - Herbstschau

Zurück zu den Eröffnungsreden von Herbert Stepan

 

Herbert Stepan

Einführende Worte zur Ausstellungseröffnung

HERBSTSCHAU 1973

Im Wiener Künstlerhaus 28.11.1973-13.1.1974

Der Ausstellungscharakter unserer “Herbstschau 1973” - der schlichte Name hat nur Bezug auf den Zeitpunkt der Veranstaltung - ist gewollt. Er ist gewollt im Hinblick darauf, dass wir als eine Vereinigung, als eine zahlenmäßig sehr große Vereinigung bildender Künstler, großen Wert auf eine dominierende Gemeinsamkeit legen. Die betonte Gemeinsamkeit, die wir also hervorzuheben bestrebt sind, sehen wir in der Aufgabe, das Vielfältige in der Kunst zu bejahen. Dieses Bekenntnis zur Vielfalt, zur Vielfalt von Kunstäußerungen, von Ideen und Realisationen, - die, zugegeben, sehr oft widerspruchsvoll genug erscheinen - heißt ja gerade, dass wir die uneingeschränkte, die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Schaffen des Einzelnen begrüßen und im fruchtbaren Zusammenleben von Künstlern ungleicher
Gesinnung Sinn und Zweck einer Vereinigung sehen, das außerdem imstande ist - unserer Ansicht nach - das “allgemeine der Kunst” zu sichern.
Wir streben kein gemeinsames Ziel an, aber wir streben viele Ziele gemeinsam an!
Warum sollte auch auf kulturellem Gebiet eine Einheit der Geister angestrebt werden, eine Einheit, die nicht nur der gegenwärtigen Situation unserer Gesellschaft vollkommen widersprechen würde, sondern zur Folge hätte, dass im Namen der Einheit mancher fruchtbaren künstlerischen Idee und manchem künstlerischen Konzept Gewalt angetan würde.
Gerade ein vielschichtiger Komplex künstlerischer Realisationen steht nicht nur auf dem Boden der tatsächlichen Gegebenheiten unserer Gesellschaft, er vermag durch die Vielfalt von Ideen und durch die unterschiedlichen Arten der Verwirklichung, erhellend das “Heute” aufzuzeigen und kann doch auch damit klärend für eine Zukunft werden.
Obwohl es schon sehr oft gesagt wurde, soll es doch wiederholt werden: frei von künstlerischer Dogmatik will unsere Auswahl keine Fixierung auf eine einseitige Aktualität, aber auch keine Fixierung allein auf überlieferte Werte.
Wir akzeptieren jede Ausdrucksform, soweit ein Künstler eine Botschaft mitzuteilen hat. Es ist nicht einzusehen, warum z.B. eine Unterscheidung gemacht werden sollte zwischen ungegenständlicher oder figürlicher Malerei - vorausgesetzt, dass es sich in beiden Fällen um Malkunst, um Gestaltung handelt.
Unser Maßstab ist die Qualität des Kunstwerkes.
Unser Konzept für eine Ausstellung heißt dann Information.
Eine Information für den Besucher wie auch für den Künstler, da sie ihn animieren kann, Gemeinsamkeiten aufzuspüren, die möglicherweise zu fruchtbarer Zusammenarbeit mit kleinen oder größeren Gruppen führen kann.
Im Zentralraum der Ausstellung, im Plastikersaal, wie auch in einigen anderen Räumen noch, haben wir bewusst das Augenmerk auf unsere neuen Mitglieder gelenkt. Sie wurden in den Jahren 1972 und 1973 zu ordentlichen Mitgliedern des Künstlerhauses ernannt. Sie stellen nicht zum ersten Mal aus, im Gegenteil, ihr Schaffen ist bereits bekannt. Jeweils mit einer größeren Anzahl von Werken präsentiert, vertritt jeder Künstler sich selbst, gibt jeder Künstler sein Bekenntnis und sucht damit auf seine Weise die Kommunikation mit dem Publikum und stellt sich so einer beurteilenden Betrachtung.
Die gezeigten Werke ermöglichen es, die künstlerischen Absichten des Einzelnen in breiterer Wirkung zu erkennen oder auch die Markierung neuer Schritte in vielleicht neuen Lebensphasen festzustellen.
Ich nenne die Namen der neuen Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge.

Der Mensch, der körperhafte Mensch ist der Vorwurf fast aller Arbeiten der Bildhauerin Ricca BACH. Jede Arbeit verrät ein gedankliches Konzept, dessen ausgesprochene Ursprünglichkeit eine unbefangene bildnerische Phantasie erkennen lässt. Mit origineller Erfindungsgabe verbindet sich starke Formsensibilität, die sich zu einer Konzentration von Kräften verdichtet, sich im einzelnen Objekt dann fast staut und expressiv zu Verformungen führt. Ihre Figurationen des menschlichen Kopfes oder der Büste wirken mit ihrem entschieden plastischen Volumen und werden manchmal von einer Neigung zum Mystischen geprägt. Verformungen erzwingen manchmal eine traumhafte Erstarrung, die dann dem Objekt einen fast idolhaften Charakter verleiht. Oder Teile machen sich selbstständig, ihre rhythmische Ordnung aber ergibt wieder ein Ganzes. Einfallsreich gestaltet diese agile Künstlerin innere Vorstellungen.

Wie psycho-malerische Aufzeichnungen eines Lyrikers, dem auch dämonische Töne nicht fremd sind, erweisen sich die abstrakten Bild-Kompositionen des Malers Toni BUCHER. Malakte sind diese Bilder - das Wort “Malakt” interpretiert allerdings mehr die Erscheinung des Bildes als den Anlass - Malakte also, die abstrakte Bildvorstellungen mit der Realität von Visionen zu verbinden wissen. Die Leichtigkeit des Arbeitsvorganges ist nur scheinbar, das Spiel des Zufalls ist nur scheinbar, denn eine starke Selbstkontrolle hebt das Spontane und Individuelle in ein sehr hohes Niveau und macht diese Bilder zu bewussten Gestaltungen. Immer in Zyklen zusammengefasst sind diese Bilder wie Tagebücher Bekenntnisse eines pantheistischen Malers, dem die Farbe das allein tragende Gestaltungselement ist.

Das Zeichnen ist die Ausdrucksmöglichkeit für Gisela FRANK.
Hier im Stiftersaal sehen Sie eine ganze Reihe von graphischen Blättern, deren Titelgebung wie “Augenblick der Wahrheit”, “Der Mond der sich teilt”, “…von Sinnen, sagt man” die Welt deutlich macht, die Gisela FRANK uns vor die Augen stellt, mit der sie dem Beschauer gleichsam zu Leibe rückt. Schattenseitiges, ja Abgründiges wird meist in diesen Zeichnungen heraufbeschworen, man kann sich der Ausstrahlung dieser gebannten Situationen nicht entziehen. Keineswegs illustrativ sind diese seelischen Zustandsschilderungen, diese inneren Wirklichkeiten so voll Spannung, weil starke und erregte Konzentration den banalsten Gegenstand doppelbödig und unheimlich zu machen weiß. Jede dieser oft sogar dämonischen Zeichnungen ist Gestaltung eines seelischen Erlebnisses.

Hart und unsentimental, sehr kühl und formal äußerst streng sind die Objekte Gottfried HÖLLWARTH´s. Abseits der herkömmlichen Vorstellungen von Plastiken, im Gegensatz zum traditionellen Bildhauer erarbeitet HÖLLWARTH ästhestische Produkte. Seine Welt ist eine künstliche Welt, eine erfundene Welt, seine Skulpturen, deren Realisierung bewusst von Formprinzipien und vom Material her gleichermaßen bedingt ist, sind zweckfreie Objekte, die neue ästhetische Möglichkeiten aufzeigen. Mit makellos polierten Flächen, mit wenigen Kerben oder Einschliffen können diese fast architektonischen Gebilde Anlass und Anregung zur Meditation werden.

Da ich nur Liebhaber der Baukunst bin, über Fachkenntnisse aber nicht verfüge habe ich mir über Diether HOPPE eine fachliche Stimme erbeten. Ich erlaube mir vorzulesen…

Isolde JURINA benennt ihre großformatigen Tafelbilder ironisierend “Aus dem Familienalbum”. Das Grundthema ihrer Arbeit - der sich quälende und andere quälende Mensch - wird in den zeitlosen Bereich des Märchenhaften gerückt. Drastisch beherrschen, ja sprengen fast deformierte Traumwesen den ganzen Bildraum, bannen den Menschen in das Dunkle und zeigen sein Unvermögen, sich vom tyrannisierenden Bösen zu lösen. JURINA´s Welt ist wie verdunkelt von unheilvollen Schatten. Die Bildtechnik - bewusst eingesetzte Collageelemente vereinigen sich mit überlagernden Farben und Kreiden - die Komposition, malerisch und graphisch zugleich, unterstützen mit ihrer Aussagekraft den sehr expressiven erzählerischen Inhalt.

Die Malerin Lucia KELLNER handhabt ihre jeweils gewonnene Stilform mit großer Fabulierlust. Angeregt von Naturerlebnissen und Eindrücken setzt sie immer eine subjektive Wirklichkeit, gibt Impulsen nach die ihre Bilder mit Dynamik füllen, ja ihnen oft sogar einen eruptiven Ausdruck geben. Sie entwickelt ihre Arbeiten zu einem freien Spiel illusionistischer und flächenhafter Elemente. In ihren sehr emotionell gebrachten Landschafts-Motiven wird der optische Natureindruck in locker hingesetzten Formbezügen arrangiert, die bis zur Ungegenständlichkeit zu faszinierenden Farbspannungen werden. Als imaginative Zeichnerin sucht sie mit schwungvollen Linien das Tektonische der Landschaft zu erfassen und vermag mit sparsamen Mitteln und mit dekorativer Stilisierung poetische Wirkungen zu erzielen. Alle ihre Motive werden, ob in Malerei oder Graphik, in eigener, in persönlichster Sprache zum Gegenstand künstlerischer Gestaltung.

Um sich in Werner RISCHANEK´s schwer lesbaren Bildern zu orientieren, sie miterleben zu können, bedarf es eines willigen Mitgehens in eine Welt der Träume. Numinoses ist Ausgang einer Konkretisierung, die nicht mit Namen zu benennen ist. Es sind gestisch bestimmte Formationen, Volumen, die sich erst festigen, Gestalt annehmen und Raumeffekte ergeben, deren Wirkung, unterstützt durch ein sehr spezifisches Kolorit, im Suggestiven verbleibt. Manieristisch überdehnte Durchdringungen suggerieren pseudoorganische Formen und verdichten sich zur selten zu natürlichen Erscheinungen. Als bildnerisch bewältigte Materialisations-Prozesse sind diese Bilder Ausdruck seelischer Spannungen von sehr persönlicher Art.

Ein sicheres Bemühen um formale Konzentration wie um harmonische Proportionen ist sowohl im figuralen Schaffen wie auch in den gegenstandslosen Formulierungen des Bildhauers Georg ZAUNER bemerkenswert. In seinen Figuren sucht er Spannung und Dynamik durch eine betonte Verallgemeinerung der Form zu erreichen und zu selbsterarbeiteter Gesetzmäßigkeit vorzustoßen. Dieselbe Gesetzmäßigkeit eignet den fast geometrisierenden Figurationen, die sich als ästhetische Objekte zu erkennen geben und trotz formaler Prägnanz immer in der Nähe des Organischen verbleiben.

Die genannten neun Künstler sind in letzter Zeit Mitglieder unseres Hauses geworden. Sie beleben mit ihren Werken gewiss nicht nur die Kunstszene innerhalb des Künstlerhauses.
Wir wünschen uns, dass ihnen von Seiten der Kritik nicht Meinungen entgegengehalten werden, sonder Interpretation gegeben wird und dasselbe wünschen wird für alle anderen Aussteller. Sie alle namentlich anzuführen wäre eine Unmöglichkeit.

Zur “Herbstschau” zugehörig ist auch die Ausstellung in der Künstlerhausgalerie. In der Künstlerhausgalerie ist ein Schrift- und Buchkünstler zu Wort gekommen, dessen Buch- und Schriftgraphik größte Beachtung verdient und der diese Beachtung und Würdigung im weiten Maße auch errungen hat. Prof. Friedrich NEUGEBAUER´s Kunst ist eine geistvoll einfühlende, sie ist eine dienende Kunst. Sie dient dem Wort in seiner schönsten Bedeutung. Ihre Kraft nimmt sie aus seelischen Bereichen und sie schafft so ein geistiges Gut, das uns ehrfürchtig Echtes und überzeugend Schönes vermittelt. Die Summe eines überreichen Schaffens liegt vor uns ausgebreitet.

Erlauben Sie mir bitte noch drei Namen von Künstlern zu nennen, deren Werke mit der Goldenen Ehrenmedaille des Künstlerhauses ausgezeichnet wurden: Hans JÄHNE,
Sepp MAYRHUBER und Werner WILLER.

Eine bizarre Insektenwelt aus Edelstahl geformt, zeigt uns
unser Gast, der Bildhauer Hans JÄHNE aus Detmold. Als frei gebildete Nachschöpfungen der Natur, mit durchaus künstlerischer Intuition, zeigen uns diese Fabelwesen in großer handwerklicher Meisterschaft eine ungewöhnliche und liebenswerte Welt. Wir freuen uns sehr, das Werk dieses Künstlers bei uns zeigen zu können.

Sepp MAYRHUBER hat eine sehr feste Bindung an die Natur und das Malerische ist ihm die innere Ursache allen künstlerischen Schaffens. Die hier ausgestellten Bilder zeigen, dass es ihm keineswegs bloß um die naturgetreue Wiedergabe eines Objektes zu tun ist. Die geistige Erfassung - nicht die realen Formen und Farben des Gegenstandes allein - seine geistige Erfassung, die schon eine malerische ist, sie ist vorherrschend. Sie setzt das Geschehen in neue Farb- und Formwerte um. Der Bildgegenstand, das Erlebnis dieses Sujets und seine künstlerische Darstellung sind eine Einheit. Das Bild ruht in sich selbst. Das Bild “Der Zwiebelbund” z.B. wie alle anderen in der so schwierigen Stuccolustro-Technik gemalt, ist sensible Malerei.

Ein inniges Verhältnis zur Natur ist auch bestimmend für Werner WILLER´s künstlerischen Ziele. Ob er die Natur nur zum Anlass nimmt - wie er es in vielen großformatigen Bildern tut, (manchmal auch in sehr kleinen, wie in den diesmal gezeigten) um dann die Bildfläche ganz entschieden einem Malprozess zu unterwerfen - oder ob er die Natur in ihrer figürlichen Erscheinung zu erfassen und zu gestalten sucht - immer verdichtet sich gestaltloses Fühlen zu Bildern, die vom Menschen und von seinem Erleben sprechen. Seine Themen, um die er mit großem Ernst ringt, sind das Werden und Vergehen in der Natur und eine Aussage vom Menschen in seiner Umwelt.

Ich habe noch Prof. Karl REISSBERGER zu nennen, dessen Arbeiten mit dem Ehrenpreis der Stadt Wien ausgezeichnet wurden.

Eine Serie von farbigen Monotypien des Künstlers erweisen wieder eine seelische Gestimmtheit, die im Betrachter eigene Gefühlserinnerungen wachzurufen vermag. Diese Bilder bezeugen, dass man etwas verherrlichen kann, ohne es zu beschreiben. Es sind Analogien zu Naturphänomenen, die ohne ein Abbild der Natur zu sein, zu Veranschaulichungen des Unbegrenzten werden. Und so gehen diese Werke, die immer von einem ordnenden Geist beherrscht sind über das rein Ästhetische weit hinaus.

Die bildende Kunst hat heute ihre Selbstverständlichkeit im Leben der Gesellschaft eingebüßt, wie viele andere zwischenmenschlichen Beziehungen leider auch.
Aber die Kunst ist trotzdem da. Ob man ihr nun Aufgaben zugesteht oder nicht.

Wir hoffen, dass unsere Ausstellung die Wiener Kunstszene bereichern kann. Denn auch hier kann mit sinnfälligen Schöpfungen die heutige Erweiterung unsere Erlebnisbereiche verdeutlicht werden.

 
Zurück zu den Eröffnungsreden von Herbert Stepan