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Herbert
Stepan
Vorwort
im Katalog zur Ausstellung
DER
MENSCH UND DIE STADT
Im
Wiener Künstlerhaus vom 22.5. bis 26.8.1973
Weil
die städtische Lebensform sicher die vorherrschende und bestimmende
Lebensform der menschlichen Gesellschaft in der Zukunft sein wird und
weil die rasante technische Entwicklung - bei unbestreitbar gewaltigen
Fortschritten und einer bisher unvorstellbaren Vervollkommnung - die Menschen
zum Zusammenleben in immer größer werdenden Städten zwingt,
was die zwischenmenschlichen Kontakte eher schwächt als fördert,
wird sein Gedeihen und Zusammenleben durch das Phänomen Stadt immer
mehr in Frage gestellt und zu einem entscheidenden Problem.
Dass sich die Stadt dem Menschen kaum mehr oder doch nur in den seltensten
Fällen als freundliche Umwelt darstellt, ist - wenn auch bedauerlich
- so doch heute eine feststehende Tatsache. Und dass der Mensch mit seiner
städtischen Umwelt meist nicht mehr in Einheit lebt, ist eine erschütternde
Wahrheit geworden. Dass sich aber der Mensch rationalem Planen doch zu
entziehen sucht, indem er auf dieses Planen überwiegend mit Ablehnung
antwortet, beweist diese umfassende Ausstellung von Bildern, Graphiken,
von Plastiken und Objekten zum Thema “Der Mensch und die Stadt”.
Im Wechsel von Impressionen, Reflexionen und Assoziationen stellen sich
viele Künstler dem Thema und - entgegen der sonst schon recht allgemeinen
Apathie des Stadtmenschen im chaotischen Auflösungsprozess überlieferter
Werte - vermag vielleicht diese Dokumentation der Künstler und ihre
engagierte Aktivität die physische und psychische Situation der Stadt
und ihrer Menschen zu erhellen.
Annähernd 200 Exponate - ausgewählt von einer Jury, deren Zusammensetzung
eine Beurteilung und Einigung aus verschiedenster Sicht gewährleistet
- geben nicht nur einen signifikanten Einblick in die gegenwärtige
Kunstszenerie, sie geben nicht nur Stichworte, sie geben Antworten zum
Thema. Sie geben Deutungen und vermögen mit den Mitteln der Kunst
in ein Problem einzugreifen, dessen Lösung wahrscheinlich darin besteht,
einmal die selbstzerstörerischen Kräfte der Menschheit zu bändigen.
Unverkennbar erweist sich die notvolle Beziehung des Künstlers zum
Thema, das uns von der Zeit, in der wir leben, direkt aufgezwungen wird.
Malend, gestaltend hält der Künstler fest, was den Menschen
heute angeht, gibt er Antworten auf eine Herausforderung der Umwelt.
Kann
der Künstler zu der Frage, wie es um uns bestellt ist, einen Beitrag
leisten? Kann und will er Einfluss nehmen auf das Geschehen, auf die Entwicklung?
Diese Frage wird jeder Künstler für sich selbst zu klären
haben, und seine Antwort kann nur sein Werk sein. Ob vorsätzlich
engagiert oder um der Kunst willen schaffend, wird der Künstler stellvertretend
zum Sprecher, wird er dem Beschauer auch in extremer und persönlichster
Reaktion die Umwelt bewusst machen und sicher in irgendeine Relation zu
dessen eigenem Empfinden bringen können.
Eine große, manchmal wohl auch verwirrende Vielfalt von künstlerischen
Haltungen, von individuellen Vorstellungen und Aussagen, die von verschiedensten
Aspekten Zeugnis geben, bietet dem Betrachter Vergleichsmöglichkeiten,
ermöglicht intensive Teilnahme und eine erwünschte Partnerschaft
des Künstlers mit der Öffentlichkeit.
Die vorherrschende kritische Stellungnahme der Künstler stellt gleichsam
die Verbindung her in diesem Spektrum recht gegensätzlicher Bildwelten
und Wirklichkeitserfahrungen, die - gemeinsam gezeigt, sich zu behaupten
haben - dem Betrachter wohl viel Einfühlung abverlangen, ganz gewiss
aber mit ihren Widersprüchen ein Abbild unserer Gegenwart und Einblick
in unsere geistige Situation vermitteln. Meisterliche Gestaltungen und
glaubwürdige Realisationen bietet diese Ausstellung in reichem Maße.
Eine bejahende Einstellung zum Thema ist selten, gläubige Utopien
fehlen. Meist zukunftsunfreundlich, zeigen uns die Bildwerke einprägsam
die Schattenseiten der Verstädterung. Die Anklage herrscht vor, die
Isolation, die Selbstentfremdung des Menschen wird deutlich und ebenso
die eine sinnvolle menschliche Entwicklung hemmende Wirkung des technokratischen
Denkens. Wenn auch manche Konflikte in ironisierender oder gar zynischer
Absicht erst künstlich heraufbeschworen erscheinen oder mancher Künstler
sich selbst deprimiert oder sich zu einer machbaren Welt bekennt, so ist
doch diese Ausstellung zusammenfassend als Dokumentation einer Zeit zu
erkennen, die kaum oder noch nicht gewillt ist, Böses umzuzwingen,
nach Darstellungswürdigkeit zu fragen oder einen Kunstwillen zu zeigen,
der unter der Voraussetzung einer gemeinschaftlichen menschlichen Grundhaltung
Harmonisierung erstrebt, ohne deshalb gleich Beschönigung sein zu
müssen.
Ein Wort Hermann Bahrs möge auch hier eine spätere Wirkung der
Bilder bedenken lassen, wenn er von sich bekennt: ”Nichts weiß
ich von mir, denn alles hängt davon ab, ob ich die Partitur erraten
habe.”
Herbert
Stepan
Einführende
Worte zur Ausstellung
DER
MENSCH UND DIE STADT
Im
Wiener Künstlerhaus 23.5.-26.8.1973
Diese
Ausstellung, die als Festwochenbeitrag des Künstlerhauses gedacht
ist, soll dem Betrachter von einem Thema her Einblick geben in eine Vielfalt
von künstlerischen Betrachtungsweisen, soll ihm zeigen wie erlebte
Wirklichkeit künstlerisch zur Definition dessen wird, was diese Wirklichkeit
bedingt.
In der Reaktion der Künstler hat sich das Thema “Der Mensch
und die Stadt” nicht nur als ein faszinierendes Thema erwiesen,
es erweist seine Aktualität an der extremen Herausforderung zu der
die “gebaute Umwelt” heute zwingt und die sich in den Bildern
manifestiert.
Das Engagement vom Thema her in eine künstlerische Qualität
umzusetzen, mit künstlerischen Mitteln zu überzeugen, das ist
die Aufgabe, der sich eine sehr große Zahl von Malern, Bildhauern
und Objektgestaltern sehr engagiert unterzogen haben. In Anschauungsweisen,
die beträchtlich divergieren - in Gestaltungsweisen, die ein Spektrum
der Gegenwartskunst anschaulich machen - in Darstellungen, die beweisen,
dass die bildende Kunst doch mitten in der Epoche steht - in all den Bildwelten
erweist es sich, dass eine musische Substanz auch in der Gegenwart, trotz
aller rationaler Lebensbestimmung, durchaus wirkungsvoll sein kann und
keinesfalls überflüssig ist.
Der
Künstler arbeitet für die Gesellschaft, selten im Einvernehmen
mit ihr, aber auch im Widerstand gegen sie vermag er, sogar in extremer
persönlichster Reaktion, dem Beschauer die Umwelt bewusst zu machen.
Dem Trend unserer Zeit entsprechend, vermag er auch im Banalen ja im Trivialsten
Exemplarisches zu zeigen. Kritik ist die vorherrschende Antwort auf die
Herausforderung der Umwelt. Aber auch ohne bewussten Veränderungswillen
kann das Werk - aus dem ja irgendwie immer die Sehnsucht nach Vollendung
spricht und das solche Sehnsucht wecken kann - im besten Sinn beunruhigend,
ja utopisch sich als Entwurf zu einem gedachten Bild der Welt erweisen.
In der Konfrontation, die diese Ausstellung den Künstlern mit ihren
Werken bietet, in dieser Konfrontation von Werken, die von verschiedensten
Ausgangspunkten und Tendenzen Zeugnis gibt, muss jedes Werk sich erst
recht in seiner Besonderheit behaupten, muss es seine Kraft im Vergleich
erweisen können. Dieser Vergleich, den das Nebeneinander persönlichster
Schaffensweisen in dieser Ausstellung möglich macht, diese Nachbarschaft
die ja gar nicht an Verbandsinteressen geknüpft ist, - in dieser
Ausstellung sind Künstler ganz Österreichs vereint - kann sich
ganz sicher die Fruchtbarkeit einer Konfrontation erweisen. Sie kann sich
gewiss fruchtbarer und nutzbringender erweisen als sie es bei Abkapselung
einzelner Gruppen je sein könnte. Das Gespräch mit einer größeren
Zahl von Partnern ist nutzbringend und förderlich für den Künstler,
es ist ebenso aufschlussreich für den Betrachter, weil die Werke
in ihrer Verschiedenheit ja eine Spiegelung sind, ein Spiegelung unserer
geistigen Situation und der wechselnden Kräfte einer sich verändernden
Gesellschaft.
Erweist sich eine Künstlerschaft heute notgedrungen meist nur an
der selbst gestellten Aufgabe, so ist die Reaktion der Künstler,
die sich von dem gestellten Thema angesprochen und aufgerufen fühlten,
ein erwünschter Beweis, dass mit der Gestaltung eigenster menschlicher
und geistiger Erfahrungen ein Allgemeines an seelischen Möglichkeiten
einer Zeit sichtbar gemacht werden kann.
An einer Aufgabe - die dem Künstler heute leider meist nicht gestellt,
ja sogar vorenthalten wird, bezeugt er mit seiner Aussage nicht nur Phantasie
und Meisterschaft - an einer gestellten Aufgabe kann er erst recht seine
Notwendigkeit in der Gesellschaft unter Beweis stellen. Mit seiner Kritik
mahnt er, er, der seine Umwelt nicht mehr feiern kann, dass nur eine menschengerechte
Formung der Umwelt seinen doch ewig gleich bleibenden Grundbedürfnissen
und seiner kreativen Entfaltung dienen kann.
Stellvertretend
für viele mögen die Arbeiten der Künstler, die durch eine
Preisvergabe hervorgehoben und so besonders gewürdigt sind, deutlich
machen, wie vielfältig und wie energisch sich künstlerische
Haltungen der Gegenwartskunst erweisen können und als Deutungen der
geistigen Situation zu werten sind.
Ich erlaube mir, die Namen der Preisträger in alphabetisches Reihenfolge
zu bringen.
Nicht literarisch eingeengt, in freier Assoziation zum Thema, stellen
die graphischen Blätter Kurt AMMANN´s, die er zu Zyklen aneinanderreiht,
in Gedanken und Formulierung nicht nur untereinander eine Beziehung her
die nachdenklich macht, sie werden in ihrer künstlerischen Aussage
zu Schlüsselbildern für geistige Geschehnisse. Sie erfüllen
damit den Anspruch der Zeichenhaftigkeit mit der der Maler dem Thema bilderbuchartig
gerecht werden will. Die rhythmische Bewegtheit in den Farben, im Linienklang
und im Reichtum der Nuancen eröffnet erst recht den reichen Erlebnisgehalt
seiner Vorstellungen, die er wie Fundstücke, wie Entdeckungen an
den Beschauer weitergibt.
Die
eigenwilligen Farbzeichnungen Karl Anton FLECK´s, eigenwillig in
Auffassung und Formgebung scheinen mit ihrem Sarkasmus in schockierender
Absicht direkt an die Öffentlichkeit gerichtet zu sein. Sie sind
inhaltlich die exemplarische Kritik eines Künstlers dessen verzerrende,
entblößende Formsprache den Blick auf seine Daseinsszenerie
ohne jede Hoffnung lässt. Ihre provozierende Funktion ist gezielt.
Die expressive Ernsthaftigkeit in den grossfigurigen Gemälden Paul
MEISSNER´s beruht auf der entschiedenen Verwandlung beobachteter
Natur. Diese Verwandlung ist auch in den beiden gezeigten Bildern Ausgangspunkt
seiner gestalterischen Überlegungen und überzeugend ist das
Ziel - die formale und inhaltliche Einheitlichkeit. In seinem Bild “Das
Schaufenster mit Puppe und Straßenspiegelung” versinnbildlicht
MEISSNER mit vitaler Handschrift und nicht ohne stillebenartige Akzente
das unpersönliche Nebeneinander der Menschen von heute. Ihre Isoliertheit
aber, mit starkem Sinn für Tragik, in schweren Farbbalancen, die
Größe des Formats voll rechtfertigend - im Bild “Straßenecke”.
Interessierte Teilnahme sichert sich die kultivierte, geistreiche Collage
“Wien mit großen Namen” von Arnulf NEUWIRTH. Voll Erfahrung
und voll Wissen sind die zeichnerischen Mittel eingesetzt und durch diese
bewusste und sparsame Zeichnung erhält das Bild sein Bewegungsmoment
das den Blick des Beschauers lenkt und so erlaubt, die gedanklich Spekulation
und die reflektierenden Zusammenhänge des Bildes zu verfolgen, des
Bildes das so zu einer heiter-ernsten Etikette der Stadt wird.
Ohne
gegenständliche Form, ohne räumliche Illusion, ohne körperhafte
Volumen, mit Figurationen von Chiffreartigem Charakter werden die ausdrucksvollen,
farbstarken Exponate, die Monotypien Fred NOWAK´s zu hieroglyphischen
Bildzeichen - werden so selbst mit äußerster Konsequenz zur
absoluten Wirklichkeit. Die Assoziationen zum Thema entziehen sich fast
einer Definition, erlauben aber ein nachschaffendes Spiel, ein Erleben
im Imaginären.
Ludwig
SCHWARZER´s Bild “Die Stadt” verharrt trotz der Fülle
des Erzählten, trotz großer Dichte und Details in seltsamer
Bewegungslosigkeit, in einer Passivität die fast Leblosigkeit suggeriert.
In beklemmender, übergenauer Objektivität gemalt mit Akribie,
steht jedes Ding für sich im Bild, bleibt es beziehungslos zu anderem
und zwingt doch, nach Zusammenhängen zu fragen. Diese verstellte
Welt ist wie eine Elegie auf Totes, ist mit seiner Schießbudenfigur,
mit dem brennenden Stephansdom in der Zielscheibe packendes Symbol des
bedrängten und gequälten Menschens.
Hans
STAUDACHER setzt Zeichen für das sehe emotionell empfundene Thema.
Die Bildfläche ist ein Geflecht von sensiblen Strichen, Linien und
Schriftfragmenten. Eine mit Energie aufgeladene, mit explosiver Intensität
vorgetragene Signatur eines Malers, der assoziativ den alles verschlingenden
Moloch Stadt in jedem seiner Bilder heraufbeschwört.
Sieben
Namen sind hervorgehoben, die Namen von sieben starken Künstlerpersönlichkeiten.
Das sind sieben sehr verschiedene künstlerische Aussagen, sieben
als Beispiele unter vielen anderen. Diese Vielfalt gibt ein deutliches
Bild von den gewaltigen Spannungen, die gegenwärtig das Schöpferische
kennzeichnen und sie zeigt eine Vielschichtigkeit mit gravierenden Unterschieden
- deren gemeinsames Band heute der Zweifel ist, der Zweifel an der Menschlichkeit
der Umwelt, an der so sehr beschworenen Humanität der Welt.
Die
Bilder, die vorgestellten Werke bieten nichts Erbauliches, kaum Versöhnliches
- aber sie reichen mit ihrer Aussage in unsere Existenz - und sie werden
deshalb ihre Wirkung in der Öffentlichkeit gewiss nicht verfehlen.
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